William Q. Judge
Auf den Seiten dieses Buches wurde der Versuch unternommen, Theosophie so zu beschreiben, dass sie für jeden Leser verständlich ist. Es enthält kühne Darlegungen, die sich aus dem Wissen des Schreibers ergeben. Der Ton gefestigter Überzeugung, der in den verschiedenen Kapiteln erklingen dürfte, entspringt nicht der Absicht, zu dogmatisieren, vielmehr entspringt er Erkenntnissen, die auf Erfahrung und Beweis gegründet sind.
Mitglieder der Theosophischen Gesellschaft werden bemerken, dass im Rahmen dieses Buches bestimmte Lehren nicht behandelt wurden. So zum Beispiel konnte nicht auf den Willen eingegangen werden, da die Kraft oder die Fähigkeit des Willens zu verborgen, zu subtil, zu unentdeckbar hinsichtlich ihrer Essenz ist, sodass sie nur an ihrer Wirkung erkennbar ist. Da die Kraft des Willens absolut farblos ist, ändert sich ihr moralischer Wert je nach dem dahinterliegenden Verlangen. Häufig wirkt sie auch ohne unser Wissen, zudem ist sie in all den untermenschlichen Naturreichen wirksam. Mit dem Versuch, die absolut farblose Kraft des Willens in ein einführendes Studium von Geist und Materie einzubinden, wäre daher in diesem Rahmen wenig gewonnen.
Der Verfasser dieses Buches erhebt keinen Anspruch auf Originalität. Er hat weder etwas erfunden noch etwas selbst entdeckt, sondern lediglich das niedergeschrieben, was ihm gelehrt und bewiesen wurde. Daher beinhaltet das Buch nur die Weitergabe von bereits vorher bekanntem Wissen.
New York, Oktober 1893
Bärbel Ackermann
Schon allein der Titel dieses Buches, „Das Meer der Theosophie“, hat eine große Aussagekraft. Mit einem Meer verbinden wir Weite, die Unendlichkeit schlechthin. Und in der Tat, „Theosophie ist jenes Meer des Wissens, das sich von Küste zu Küste der Evolution aller fühlenden Wesen ausbreitet. Unergründlich in seinen tiefsten Teilen, gibt es den mächtigsten Gemütern ihre vollste Entfaltungsmöglichkeit und ist dennoch an seinen Küsten flach genug, um den Verstand eines Kindes nicht zu überwältigen.“
In dieses Meer der Unendlichkeit ist unser Leben eingebettet, wir können es nie verlassen! Diese Unendlichkeit mit unseren sterblichen Sinnen erfassen zu wollen, erscheint fast unmöglich. Und doch ist der menschliche Geist in der Lage, grundlegende Naturgesetze zu erfassen, sie als ein zusammenhängendes Ganzes zu erkennen. Denn die Natur wirkt stets innerhalb derselben Gesetzmäßigkeiten. Analog zur Natur ändern sich die Lehren der Theosophie nicht. Sie bleiben
immer dieselben, ob auf den Kosmos angewandt oder bezogen auf unsere irdische Sphäre, unsere Erde.
Der Verfasser dieses Buches, William Quan Judge, verstand es wie kein anderer, die tiefgehendsten Lebensvorgänge in ihrer ganzen Komplexität zusammenzufassen und dennoch verständlich zu bleiben. Das macht es dem Leser leicht, in die evolutionären Lebensvorgänge einzudringen, und spornt an, mehr über unser Leben zu erfahren. Daher wird das „Meer“ weltweit auch als „Klassiker“ für den Einstieg in die faszinierende Welt der Theosophie bezeichnet.
Die Lehren der Theosophie bestehen unveränderbar seit Menschengedenken. Sie können sich nicht verändern, weil sie die mannigfaltigen Facetten der Naturvorgänge wiedergeben. Was sich von Jahrhundert zu Jahrhundert, von Kultur zu Kultur verändert, sind lediglich die Art der Darlegung und die stilistische Ausdrucksweise. Daher haben wir uns auch entschlossen, eine Bearbeitung des Buches vorzunehmen, die es dem Leser ermöglicht, leichter und zeitgemäß in die Zusammenhänge von Mensch, Natur und Kosmos einzudringen. Der Bogen spannt sich dabei von allgemeinen geschichtlichen Prinzipien und der planetarischen Evolution über die Astralbereiche, die Prinzipien des Menschen, Reinkarnation und Karman, nachtodliche Zustände und Zyklen bis hin zur Trennung der Arten, zum „missing link“, das bis heute der Wissenschaft ein Rätsel geblieben ist. Dann geht Judge auf die damaligen Spiritisten ein, die dem krassen Materialismus seiner Zeit als Gegenpol äußerst vehement gegenüberstanden. Heute wird weniger von Spiritismus gesprochen, doch die psychischen Praktiken stehen ihm an Subtilität keineswegs nach. Daher ist die geschichtliche Entwicklung der heutigen Esoterik äußerst interessant und zeigt auf vielen Gebieten, wie aus Unkenntnis die sehr realen Kräfte der Natur für Praktiken aller Art missbraucht werden können. Auch hier zeigt Judge Zusammenhänge auf, die in dieser Offenheit nirgendwo sonst nachzulesen sind. In diesem Sinne warnt Judge vor psychischen Praktiken, deren subtile und äußerst schädliche Auswirkungen sowohl physisch als auch psychisch noch viel zu wenig erkannt werden.
„Aphorismen über Karman“ – kulturhistorisches Dokument
Zur Ergänzung des Kapitels „Karman“ (Kapitel 11) veröffentlichen wir erstmals in deutscher Sprache im Anhang die „Aphorismen über Karman“. Ihre Bedeutung für menschliches Denken und Handeln ist unschätzbar, denn unser Leben ist das Resultat dieses unausweichlichen Naturgesetzes. Ursache und Wirkung im ewigen Wechsel von Geburt und Wiedergeburt sind die mächtigen Antriebskräfte im Schicksalsgewebe unserer Evolution. Daher hielten wir es für angebracht, die „Aphorismen über Karman“ im Anhang dieses Buches wiederzugeben und so für die Öffentlichkeit zu bewahren. Ihre tiefe Bedeutung wird von jenen erkannt werden, die für die verborgenen Realitäten unseres Daseins aufnahmebereit sind. Sie werden in ihnen unverzichtbare Wegweiser für ihr Leben finden. In der Erkenntnis der unabwendbaren Gerechtigkeit, die Karman in sich birgt, werden Hoffnung und Trost zugleich ihre ständigen Begleiter sein.
Die „Aphorismen über Karman“ sind ein kulturhistorisches Dokument, das in dieser Ausführlichkeit nicht seinesgleichen hat. Zeitlos und menschlicher Ignoranz trotzend, wurden sie jenen gegeben, die Wahrheit um der Wahrheit willen lieben und diese Wahrheit für das höchste Gut auf Erden erachten.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Judge einen sehr komplexen Einblick in unser Dasein gibt, in unsere Unsterblichkeit in Raum und Zeit. Er weckt den Wunsch, mehr über unser Leben zu erfahren. In einer ruhelosen Zeit gibt er Orientierung, die mit Hoffnung und Zuversicht erfüllt.
Hannover, 2010